Es ist gekommen, wie es wohl kommen sollte: Die USA und Russland sind aus dem INF-Abkommen ausgeschieden. Insbesondere den USA schien offenbar keine Spitzfindigkeit gering genug, um sie zur unbedingten Notwendigkeit für so einen folgenreichen Schritt hochzustilisieren.
Schon der damalige russische Außenminister Iwanow erwog 2004, aus dem Vertrag herauszukommen, nachdem sich China, Indien und Pakistan ebenfalls mit landgestützten Mittelstreckenwaffen ausrüsteten.
Inzwischen errichteten die USA in dieser Zeit ihre Raketen-Abwehrschirme in Polen, Tschechien und Rumänien. Aus ihrer Sicht reine Defensivmaßnahmen, auf die der INF-Vertrag keine Anwendung finde.
Wenn beide Staaten schon keine Vertragstreue gewährleisten konnten, so gab es weder hier noch dort ein Interesse, den Vertrag wenigstens dergestalt zu aktualisieren, dass er fortan keinen Interpretationsspielraum mehr bot bzw. ihn auf andere INF-Staaten auszuweiten. Dagegen wehrten sich selbst andere NATO-Staaten vehement.
Möglicherweise krankte das INF-Abkommen stets daran, dass es sich dabei lediglich um ein Vertragswerk zwischen zwei Nationen und nicht zwischen zwei Militärbündnissen handelte. In diesem Licht wirkt es ziemlich ungelenk, wenn NATO-Generalsekretär Stoltenberg, der bislang zudem eher als Hardliner und Anwalt amerikanischer Interessen in Erscheinung getreten ist, sich plötzlich als Vertragsretter ins Spiel bringen will. Zweifelhaft, ob er die Macht hat, seinen Gesinnungswandel überhaupt umzusetzen, denn als Chef des weltweit größten Militärbündnisses hat er ja auch – wie schon seine Vorgänger – militärischen Alleingängen seiner Mitglieder nichts entgegengesetzt: Die USA, Großbritannien und Frankreich haben Syrien in eigener Regie bombardiert. Wie Stoltenberg jetzt plötzlich das Heft in die Hand nehmen und das schmale Zeitfenster von sechs Monaten nutzen will, um den Schaden zu begrenzen, kann er auf der Münchner Sicherheitskonferenz in zwei Wochen erklären. Mit einem höheren Glaubwürdigkeitsvorschuss würde er es einfacher haben.
In einem Beitrag der Stiftung Wissenschaft und Politik hat der Bundeswehr-Oberst a.D. Wolfgang Richter die Problematik nochmal umfassend skizziert:
https://www.swp-berlin.org/publikation/der-inf-vertrag-vor-dem-aus/