Zeitzeuge hat gestern einen sehr interessanten Text über die zukünftigen Politikoptionen Deutschlands und Europas gegenüber Russland gepostet, den man leider nicht kommentieren konnte. Ich möchte aber trotzdem etwas dazu sagen:
Zunächst zur SPD: Spätestens mit der Kaltstellung Sigmar Gabriels scheinen sich die deutschen Sozialdemokraten – hoffentlich nur vorläufig – von einer konstruktiven Russlandpolitik verabschiedet zu haben. Der neue Außenminister Maas hat offenbar weder einen besonderen Bezug zu Russland, noch die Fähigkeit, sich in die dortigen Befindlichkeiten hineinzufühlen. Davon zeugte schon sein vielleicht gut gemeinter, aber doch befremdlicher Vorschlag, nach dem jüngsten Vorfall im Asowschen Meer zwischen Russland und der Ukraine vermitteln zu wollen. In Disputen zwischen dem Westen und Russland kommt er vorschnell zu einseitigen Urteilen; im „Fall Skripal“ hat er ohne Not eilfertig Partei gegen Russland ergriffen. Und Russland ist es, dem er jetzt aktuell auch ohne nachhaltige Beweise die Schuld am möglichen Scheitern des INF-Vertrags gibt. Immerhin hat er sich kürzlich vorsichtig kritisch zum Dollar als Welt-Leitwährung geäußert, was aber sicher mehr mit Trumps Androhung von Strafzöllen zu tun hat, als mit einer generellen kritischen Haltung gegenüber einer bisweilen militanten Weltwirtschaftpolitik, die Washington nicht erst seit Trump betreibt. Auch andere SPD-Politiker haben mit Russland derzeit kaum etwas im Sinn: Andrea Nahles kann mit dem Thema gar nichts anfangen, der degradierte Martin Schulz liegt schon fast auf der Linie eines Norbert Röttgen und auch Gernot Erler hat als Russlandbeauftragter der Bundesregierung kaum nützliche Impulse für eine besseres gegenseitiges Verständnis geliefert. Einzig in den Ländern ist die traditionelle SPD-Politik mit seinerzeit Erwin Sellering in MV und Stephan Weil in Niedersachsen noch rudimentär wahrnehmbar.
In einer Zeit, in der die beiden Supermächte USA und China ihre Claims in der Welt abstecken, kann es aber für Europa und Russland nur den Weg geben, ein starkes drittes Schwergewicht in der Welt zu formieren, wirtschaftlich und politisch. Deshalb gibt es zum gemeinsamen Europäischen Haus von Lissabon bis Wladiwostok überhaupt keine Alternative. Während die USA und China nur darauf aus sind, ihre eigene Wirtschaftskraft auf Kosten anderer Staaten zu maximieren, könnte es zwischen Europa und Russland eine echte Symbiose geben, wenn sich beide Teile endlich wieder als Einheit begreifen und ihre Stärken gemeinsam zum Einsatz bringen.
Zeitzeuge hat völlig Recht, Europa muss endlich über seinen Schatten springen, von seiner Werteduselei Abstand nehmen und sich stattdessen endlich klar machen, dass es ohne Russland und seine Kultur nicht komplett ist. In dem Kontext täten wir Europäer gut daran, uns gemeinsam mit Russland für die Idee einer multipolaren Weltordnung stark zu machen. Einer der größten Irrtümer unserer Zeit ist, dass Globalisierung nur gelingen kann, wenn sich die Welt unter die Kontrolle einer einzigen Hegemonialmacht begibt. Das Gegenteil ist der Fall.