Der französische Präsident Emmanuel Macron versteht als einziger Führungspolitiker in der EU, dass ein Europa ohne - oder gar gegen - Russland nicht funktionieren kann. Er besinnt sich immer wieder, zuletzt auf der Münchner Sicherheitskonferenz, auf das Konzept des Gemeinsamen Raumes vom Atlantik bis zum Pazifik. Im liberalen Westen wird Macron zwar als Heilsbringer gefeiert, aber seine Aufrufe zur Zusammenarbeit mit Russland bleiben unverhallt. Der Franzose bringt gute Argumente hervor: Europa dürfe sich nicht zwischen den kommenden Supermächten USA und China zermalmen lassen, um im Kampf dieser beiden Giganten eine Rolle zu spielen, benötige die EU eine Stärkung Ganz-Europas, also ein strategisches Bündnis mit Russland. Macron sagt offen, dass die EU eine neue Realpolitik benötige, dass die alte NATO reformiert werden müsse, dass die EU sich von den USA emmanzipieren müsse, dass mit dem Brexit die EU militärisch schwächer geworden ist und beklagt, dass Deutschland ihn zu wenig unterstütze und die ostmitteleuropäischen Länder von einer neuen Russland-Politik in Europa nichts hielten. Irgendwie scheint er auch Angst vor dem eigenen Establishment zu haben, denn der außen- und sicherheitspolitische Apparat Frankreichs, sowie die liberalen Medien, sind gegen eine Russland-Annäherung.
Macron wird vermutlich resignieren. Die größte Baustelle in der Sicherheitspolitik Europas bleibt der Ukraine-Konflikt. Dort sind die Fronten verhärtet, eine Lösung nicht in Sicht. Frankreich und Deutschland stehen auf dem Standpunkt, dass die Minsker Vereinbarungen der einzige Weg zur Friedenssicherung in der Ostukraine ist. Laut Minsker Vereinbarungen muss die abtrünnige Region Donetzk eine Autonomie erhalten, aber im ukrainischen Staatsverband bleiben. Doch was passiert? Die Ukraine blockiert seit 5 Jahren eine echte Autonomielösung für die Region, weil die starke Fraktion der Nationalisten in Kiev keine Zugeständnisse an Russland machen will. Die Ukraine hofft, dass die USA und EU die Wirtschaft Russlands mit Sanktionen so beschädigen würden, dass Russland kapituliert. Mit sturrem Eifer wird diese politische Linie fortgesetzt. Auf blankes Entsetzen stößt in der Ukraine die westliche Forderung, Sanktionen gegen Russland wieder aufzuheben, falls der Minser Prozess Fortschritte bringe. Es enspricht der ukrainischen Logik, den Minsker Pozess zum Scheitern zu bringen, damit die Sanktionen gegen Russland bestehen bleiben. Russland hat es inzwischen gelernt, unter dem Sanktionsdruck zu leben. Seine Wirtschaft hat sich erholt. Der Leidtragende ist der Westen, der er verliert allmähtlich den russischen Markt. Statt die Ukraine zu disziplinieren, betrachten Berlin und Paris die Ukraine weiterhin als Opfer der russischen Aggression und lassen ihr alles durchgehen.
Macrons sehnsüchtige Blicke auf Deutschland, von wo er Unterstützung für seine Ostpolitik erhofft, bleiben unbeantwortet. Deutschland legt sich selbst lahm. Dem wichtigsten Land in Europa droht jetzt ein jahrelanger Kampf um das Erbe und Nachfolge Merkels. Merkel selbst will noch anderthalb Jahre weiterregieren, obwohl sie politisch immer mehr zu einer lahmen Ente wird. Die Diadochen innerhalb der CDU werden sich kaum gütig auf eine Machtverteilung einigen und jeder für sich um die Merkel-Nachfolge kämpfen. Friedrich Merz und Norbert Röttgen sind Transatlantiker durch und durch - in der Vergangenheit haben sie nur derbe Wort für Russland gefunden. Armin Laschet ist aus einem anderen Kaliber geschnitzt, als Mitglied des Auswärtigen Ausschusses des EU-Parlaments vor 15-20 Jahren hat er sich sehr für das Zustandekommen einer EU-Russland-Partnerschaft eingesetzt. Als Integrationsminister von Nordrhein Westphalen hat er sich um die Russlandstämmigen intensiv gekümmert. Würde er Kanzler werden, wäre er der geeignete Politiker, um Macrons Konzept einer neuen europäischen Ostpolitik positiv aufzunehmen. Als jemand, der eine große Nähe zu Polen hat, wäre Laschet auch dafür prädestiniert, die Russland-kritische Führung in Warschau für einen neuen Dialog mit Moskau zu gewinnen.
Ob ein CDU-Mann (Frauen bewerben sich nicht) aber überhaupt eine Chance hat, nächster Kanzler zu werden, ist heute unsicherer als je. Einige Umfragen sehen die Partei der Grünen und ihren Chef Robert Habeck schon vor den Christdemokraten liegen. Eine grün-schwarze Regierung wäre für Macron alles andere als ein Partner, mit dem man eine Annäherung an Russland wagen könnte.